Esther Strauß
Das Versteck
Innsbruck, vor dem Landesmuseum Ferdinandeum und Künstlerhaus Büchsenhausen
01.06 bis 30.09.2017
Projektbeschreibung
Das Versteck von Robin Hood war der Sherwood Forest, Andreas Hofer versteckte sich auf der Pfandler Alm, Osama Bin Laden in Pakistan, der italienische Mafiaboss „Mamma“ Pelle hinterm Schrank in seinem Haus.
Verstecke brauchen aber nicht nur Personen, die von Häschern oder der Polizei gesucht werden. Ein gutes Versteck braucht eigentlich jede/r – das ganze Leben lang. Der Bedarf beginnt in der Kindheit, in der „Verstecken“ und „Fangen“ zu den wichtigsten Spielen gehören. Der Bedarf zieht sich über die unsicheren Verpuppungsphasen der Pubertät, reicht weiter in die Ehephasen, in denen die Partner:innen einzeln in Werkstätten, Gemüsegärten oder Fitnessstudios verschwinden, bis hin zu diversen Lebenskrisen, in denen man sich in Verstecke wie Drogen, Manien oder Hobbys stürzt. Ein gutes Versteck schützt also nicht nur vor Zugriff oder dem Gefunden-werden, ein gutes Versteck kann mehr. Es erschafft neben Schutz auch eigene Fantasien. Es erzeugt eine intime Parallelwelt – enthoben der Umgebung und der Zeit.
Die Skulptur von Esther Strauß mit dem Titel Das Versteck zielt genau auf solch eine intime Atmosphäre. Dazu ist die Skulptur benutzbar. An der Rückseite der Kapsel lässt sich eine Luke auf- und zuklappen, eine einzelne Person kann hineinsteigen und sich darin verstecken. Ein einzelnes Bullauge ermöglicht einen Blick nach draußen.
Äußerlich ähnelt die Skulptur mit seinen sechs Beinchen und seiner goldenen Oberfläche einer verkleinerten Mondlandefähre. Raumkapseln sind besonders gute Verstecke: Sie sind tatsächlich weg von der Welt und schon daher mit eigener Überlebens-Atmosphäre ausgestattet. Noch in einem anderen Aspekt ähnelt Das Versteck einer Mondexpedition: Es gibt die Kapsel zweifach. Die eine Version wird von Esther Strauß im belebten öffentlichen Raum in Innsbruck ausgestellt, die andere an einem geheimen Ort irgendwo in Tirol versteckt. Erst wer diese zweite Version / das Original zufällig findet, kann sich darin wahrlich verstecken.
Solch ein duales Paar gibt es auch in der Raumfahrt mit dem Duo „Rückkehrkapsel“ (bleibt auf einer kontrollierten Umlaufbahn) und „Landefahrzeug“. Der wartende Astronaut in der Rückkehrkapsel und all jene Passant:innen, die Das Versteck im öffentlichen Raum kurz testen, werden daher wohl eine ähnliche Sehnsucht nach mehr spüren.
Bedeutungsgeladen ist zudem die facettierte Außenform der Kapsel. Klettert man in das Versteck und schließt es, befindet man sich dadurch im Inneren eines Kristalls – ganz ähnlich wie eine Fliege im Bernstein oder das schöne Schneewittchen im gläsernen Sarg. Man ist tot und nicht-tot zugleich.
Diese spezielle Formgebung hat in unserer Kultur seit der Zeit der Romantik eine lange Tradition. Gerade zwischen der harten und ewigen Welt der Kristalle und dem gänzlich Prekären gibt es paradoxerweise eine formale Engführung. Sie zeigt sich beispielsweise in der Diamantform von Parfümflakons, in der bossierten Form von Särgen oder in der facettierten Außenhaut des Stealth Bombers. Es scheint, als wolle man die Schrecken der Vergänglichkeit und des Todes dadurch mit den unendlichen Zeitspannen erdgeschichtlicher Abläufe konterkarieren. In einer Art alchemistischer Beschwörung wird gegen das beständige Vergehen und Verklingen der Kristall gesetzt – vermag dieser doch sogar das Licht zu fangen!
In den letzten Jahrzehnten hat diese Engführung besonders viele eindrückliche Beispiele im Bereich der Architektur gezeitigt. Gerade flüchtigen Medien wie Film, Musik oder Mode werden gerne kristallinen Bauten gewidmet. Der Berliner Kammermusiksaal, der gläsern-kristalline UFA-Kinopalast in Dresden, die Freiluft-Konzertbühne in Grafenegg (Niederösterreich), die Casa da Musica in Porto, die Hamburger Elbphilharmonie, der Prada-Flagshipstore und das Jimbocho-Theater in Tokio: Sie alle sind kristalline Fassungen für vergängliche Kunstformen, quasi riesige Flakons, die den Duft der flüchtigen Ware noch ein wenig länger halten sollen.
Auch bei Museen für Bildende Kunst wird oft auf diese Symbolik gesetzt: Das MUMOK in Wien scheint aus schierer Basaltlava zu bestehen, der polierte Beton des Kunstmuseum Liechtenstein glänzt wie schwarzer Obsidian, die mattierten Glasfassaden des Kunsthaus Bregenz lassen den Solitärbau wie einen riesigen Calcit erscheinen, der Erweiterungsbau für die Kunsthalle in Hamburg und das Kirchner-Museum in Davos inszenieren sich als gefasste weiße Edelsteine und das Museum der Moderne auf dem Salzburger Mönchsberg gefällt sich als Berg-Kristall. Leipzigs 2004 eröffnetes Kunstmuseum wurde in F.A.Z. gar als „leuchtende Druse“ beschrieben.
Isoliert stehende Prismen sind in der Architektur aber keine neue Erfindung. Bruno Taut hat mit seinen fantastischen Skizzen alpiner Glasarchitektur dazu den Grundstein gelegt und seit den Funktionalist:innen türmen sie sich weltweit in die Höhe. Auch die aktuelle Zweite Moderne favorisiert kristalline Formen.
Das Versteck von Esther Strauß hingegen ist eine Einzelkapsel. Ähnlich wichtig wie seine äußere Form ist wahrscheinlich das Erleben seines Innenraums. Hierbei schließt es an Konzepte von minimalistischen „Wohnzellen“ an, die Künstler wie Absalon und Andrea Zittel, oder Architekt:innen wie Friedrich Kiesler, Margarete Schütte-Lihotzky, Archigram oder Hans Hollein entwickelten. Sie sind immer zugleich auch Prototypen für eine neue Art zu leben.
Ich stelle mir den Aufenthalt im Inneren des Verstecks von Esther Strauß nicht allzu bequem vor. Es gibt darin weder einen Stuhl noch eine Liege. Kauert man sich darin am Boden wie ein ungeborenes Baby? Die Skulptur wäre dann eine Art Fruchtblase und man bearbeitet darin idealerweise seinen „inneren Raum“. Man könnte sogar sein Rebirthing zelebrieren! Wer weiß schon, was man in und mit einem guten Versteck alles ausbrüten kann?
Stickig und warm wird es in dem kleinen Raum vermutlich ohnehin werden. Möglicherweise kann man darin dann spirituelle Erfahrungen machen, wie in einer schamanistischen Schwitzhütte oder wie in einem Orgonakkumulator nach Wilhelm Reich. Die eigenen Energien werden jedenfalls wie wild im Innenraum zirkulieren, die Blitze des Himmels hingegen werden wie bei einem faradayschen Käfig draußen bleiben.
Vielleicht ist es im Inneren aber auch so schön wie in der Riesenmuschel aus dem Kinderbuch Urmel aus dem Eis: “Hier kann ich prima nachdenken. Die Sonne geht auf und unter und zieht über mich hinweg.
Und der Mond geht auf und unter und zieht über mich hinweg und die Sterne ziehen…“
Vitus H. Weh