ALT.SEIN.

Robert Fleischanderl
ALT.SEIN. Kunst im öffentlichen Raum

Zillertal
01.06 bis 07.07.2013

ALT.SEIN erzählt von Menschen und ihren Leben in einem Altenwohnheim und lädt dazu ein, sich mit Themen wie Alter, Selbstbestimmung, Würde, Isolation, Sexualität, Kontrollverlust, Krankheit und Tod auseinanderzusetzen

zur Beschreibung

Projektbeschreibung

ALT.SEIN. Kunst im öffentlichen Raum ist ein Gemeinschaftsprojekt des Künstlers Robert Fleischanderl mit dem Franziskusheim Fügen. Durch die Ausstellung ALT.SEIN. treten die Bewohner_innen und das Franziskusheim als Organisation in die Öffentlichkeit.

Das Thema Altenwohnheime wird gesellschaftlich immer relevanter. Die Landesstatistik hat erhoben, dass 2010 16,4% der Tiroler Bevölkerung über 65 Jahre alt war. 2020 werden es bereits 19% sein und 2030 werden 23,7% der Tirolerinnen und Tiroler über 65 Jahre alt sein1. Bis zum Jahr 2050 wird die Gruppe der 75-Jährigen in Tirol um 232 Prozent zunehmen2.

Die permanente Verbesserung der medizinischen Versorgung führt zu einer höheren Lebenserwartung und die dazugewonnene Lebensspanne wird als positiv betrachtet, so lange sie aktiv und bei guter Gesundheit erlebt werden kann. „Die negative Seite dieser Entwicklung zeigt sich darin, dass das Risiko krank zu werden mit zunehmendem Alter exponentiell ansteigt. Gleichzeitig an mehreren Erkrankungen (Multimorbidität) zu leiden ist charakteristisch für das hohe Alter und mündet oftmals in Hilfe- und Pflegebedürftigkeit.“3 Aufgrund dieser Tatsachen werden zukünftig vermehrt Senior_innen ihren Lebensabend in einem Wohn- und Pflegeheim verbringen.

Die Fotos von Robert Fleischanderl erzählen von den Menschen und dem Leben in einem Altenwohnheim. Sie laden zur Auseinandersetzung mit dem Thema ein. Alter, Selbstbestimmung, Würde, Isolation, Sexualität, Kontrollverlust, Krankheit, Tod u.a. werden thematisiert. Sie informieren, klären auf und bauen hoffentlich einige Vorurteile ab. Die Bewohner_innen gewähren Einblicke in die von ihnen individuell gestalteten Wohnräume. Eingebettet in ein Umfeld, das trotz mancher altersbedingten Einschränkungen zu einem selbstbestimmten Leben einlädt.

ALT.SEIN. verfolgt das Ziel unterschiedliche und räumlich getrennte Lebenswelten einander näher zu bringen. Es ist eine Interaktion zwischen den Bewohner_innen, den Mitarbeiter_innen des Franziskusheimes, den Besucher_innen und der Bevölkerung des vorderen Zillertals und des angrenzenden Inntals. Es ist eine künstlerische Intervention im alltäglichen Raum der Menschen, eine räumliche und thematische Grenzüberschreitung.

Die Fotografien sind keine Dokumentation. Es sind Statements über Menschen, zu Prozessen und Situationen. Die Arbeiten entstehen durch das Mischen von Dokumentarischem, dem Reagieren auf Vorgefundenes und einer konzeptionellen, je nach Sujet mehr oder weniger starken Inszenierung. Entstanden sind autonome Bilder, die sich in ihrer Funktion und in ihrem Aufbau zahlreicher Anleihen aus der Kunstgeschichte bedienen. Die abgebildeten Menschen, Dinge und Situationen werden vom Künstler sozusagen in die Ikonografie des Abendlandes eingebettet, wenn die Fotografien von der Komposition, der Lichtführung oder der Farbgebung an bekannte Werke erinnern. Beispielsweise werden Raster der modernen und zeitgenössischen Kunst, ebenso wie das sogenannte Kellerlicht, eine Erfindung, die Caravaggio zugeschreiben wird, oder Typologien aus der sakralen Kunst wie Kreuzigungsgruppen, die unter dem Kreuz meist Maria, die Mutter Gottes, und den Jünger Johannes zeigen, zitiert. Wie in Stein gemeißelt sehen Handstudien aus und einige Portraits erinnern an Charakterköpfe. Ein Mann schaut nach dem Haareschneiden und Rasieren kritisch in den Spiegel. Was er sieht, scheint ihm doch zu gefallen. Einige Menschen sind völlig in sich gekehrt. Andere, wie eine Frau mit Brille, die sicher und an Selbstportraits von Renaissancekünstlern erinnernd in die Kamera blickt, nehmen am Geschehen teil. Eine Frau liest im Pflegebett die Tiroler Tageszeitung. Ihre Haltung ist ähnlich wie die des armen Poeten von Carl Spitzweg. Robert Fleischanderl spielt einerseits auf Sehgewohnheiten an, die im Subtext transportieren, dass es sich bei den Lebensrealitäten in Senior_innenheimen um etwas Alltägliches handelt, und schafft andererseits durch die zum Teil inszenierten Analogien in der Darstellung auch Distanz. Distanz, die vom Respekt vor den Menschen herrührt.
Auch ohne kunsthistorisches Wissen regen die Bilder zur Reflexion an und die Achtsamkeit des Künstlers, mit der er an das Thema herangegangen ist, überträgt sich auf die Betrachter_innen. So wird die Wichtigkeit, die die Angehörigen im Leben der Bewohner_innen spielen, deutlich, wenn beispielsweise ein Altärchen auf dem Nachttisch mit Engelfiguren, Blumen und Kerze an den Mann erinnert, ein Foto die Großfamilie ins Zimmer holt oder über dem Bett ein Hochzeitsbild hängt. Manche Bilder, wie das auf dem eine Frau zwischen ihrer stattlichen Sammlung von Stofftieren und Puppen hervorlugt, bringen durchaus auch zum Schmunzeln.

Im Juni 2013 werden die Arbeiten, großformatige Fotografien mit 100×140 cm, im baulich zur Galerie adaptieren Franziskusheim gezeigt. Parallel werden sechs Sujets auf 8-Bogen-Plakaten in einer Außen-Ausstellung im vorderen Zillertal und dem angrenzenden Inntal gezeigt.

Das Altersheim als öffentlicher Ort wird zur Galerie. Das verstärkt die Interaktion, die Betrachter_innen sind zur Auseinandersetzung mit den Arbeiten und Themen eingeladen.

Die angrenzenden Gemeinden sind der Gegenpol zur Ausstellung im Franziskusheim. Die Fotos auf den Plakaten intervenieren in den Alltag der Bevölkerung und es findet eine räumliche und thematische Grenzüberschreitung statt. Sie sind eine Irritation in der strukturellen Routine des Gemeindelebens, es werden Einblicke geschaffen, die Betrachter_innen werden zur Begegnung eingeladen.

  1. http://www.tirol.gv.at/themen/zahlen-und-fakten/statistik/wohnbevoelkerung/#c46659, Abfrage am 29.04.2013
  2. Tiroler Landeszeitung, Februar 2012
  3. Dr.in Michaela Miklautz, Co-Autorin: Dr.in Brigitte Jenull-Schiefer, AKTIVSEIN IN SENIOREN- UND PFLEGEHEIMEN – (K)EIN WIDERSPRUCH?, http://www.oegkv.at/uploads/media/miklautz-04.pdf S. 4f, Abfrage am 29.04.2013